Neue Erkenntnisse aus der Knochenforschung: Inspiration für die Entwicklung innovativer Biomaterialien
Collagen Fiber Orientation Is Coupled with Specific Nano-Compositional Patterns in Dark and Bright Osteons Modulating Their Biomechanical Properties
Die adaptive nanostrukturelle Anpassung der Knochenmatrix geht mit ausgeprägten kompositionellen Veränderungen einher, um seine Frakturresistenz zu erhöhen. Diese neue Erkenntnis auf dem Gebiet der Knochenforschung wurde durch die Kooperation von Wissenschaftlern der Forschergruppe um Prof. Björn Busse, Heisenbergprofessor am Institut für Osteologie und Biomechanik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) mit dem Institut für Werkstoffforschung des Helmholtz-Zentrum Geesthacht ermöglicht. Die Ergebnisse der Studie von Kilian Stockhausen, veröffentlicht in ACS Nano, einem interdisziplinär aufgestellten Journal im Bereich der Nanotechnologie, erlauben einen neuen Blickwinkel auf die Anpassungsfähigkeit der Knochenmatrix gegenüber mechanischen Belastungen und können als Inspiration für die Entwicklung innovativer Biomaterialien dienen.
Knochen erlangt seine Frakturresistenz durch ein komplexes Zusammenspiel von Mineral und Kollagen: während die Steifigkeit primär der Mineralphase zu verdanken ist, liefert das Kollagen Duktilität. Dabei ist Knochen kein statisches Gewebe, sondern wird kontinuierlich umgebaut, um sich an die erfahrene Belastung anzupassen und seine Stabilität zu bewahren. Die Anpassungsfähigkeit von Knochen spiegelt sich in seinem mikro- und nanostrukturellen Aufbau wider, wo die Existenz von polarisationsoptisch dunklen und hellen Osteonen auf eine notwendige Heterogenität der Matrix hindeutet. Unter zirkulär polarisiertem Licht betrachtete Osteone erscheinen dunkel, wenn die Kollagenfasern vorwiegend parallel zur Längsachse des Osteons laufen. Wenn ein Osteon hell erscheint, enthält es einen höheren Anteil an schräglaufenden Kollagenfasern. In dieser Studie konnte gezeigt werden, dass über die gegensätzliche Organisation der Kollagenfasern hinaus wesentliche kompositionelle Unterschiede zwischen beiden Osteon-Typen bestehen: dunkle Osteone sind höher mineralisiert und haben ein höheres Verhältnis von anorganischer zu organischer Matrix, was den Widerstand gegen plastische Verformung erhöht. Im Gegensatz dazu enthalten helle Osteone einen höheren Anteil an Kollagen und gewährleisten eine höhere Duktilität.
Die Forschungsgruppe Bioengineering/Medizintechnik am Institut für Osteologie und Biomechanik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf untersucht die verschiedenen Ultrastrukturmerkmale in Biomaterialen um deren Einfluss auf das biomechanische Verhalten zu definieren. Die materialwissenschaftlich-inspirierten Analysen ergänzen medizinisch-biologische Studien und leisten so einen Wissensbeitrag zu verschiedenen medizinischen Fragestellungen und zeigen Perspektiven für neue Ansätze zu Behandlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten auf.
Das Interdisciplinary Competence Center for Interface Research (ICCIR) erforscht die Eigenschaften und Wechselwirkungen zwischen Materialien und Geweben an Grenzflächen, um klinisch-relevante Fragestellungen mit medizintechnischen Ansätzen zu lösen. Das Zusammenspiel bisher weitgehend disjunkter Kompetenzen soll die Konvergenz von ingenieurwissenschaftlicher, biologischer und medizinischer Forschung befördern.
Das Interdisciplinary Competence Center for Interface Research (ICCIR) ist ein zentraler Forschungsansatz im Rahmen des Forschungszentrums Medizintechnik Hamburg (FMTHH). Hier forschen Ingenieurinnen und Ingenieure der TUHH und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des UKE gemeinsam an neuen Technologien und Therapien. Die interdisziplinäre medizintechnische Forschung ermöglicht Klinikern durch technologische Anwendungen z.B. aus der Mikrosystemtechnologie, Nanoelektronik, Künstlichen Intelligenz, Robotik und Maschinellem Lernen neue und spannende Erfolge in Diagnostik und Therapie.
Publikation: https://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/acsnano.0c04786